Karate – ein Sport mit Philosophie
So wie in den westlichen Sportsystemen einst bei der Gründung teilweise auch soziophilosophische Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung und Entfaltung zu eigen waren (Olympische Idee, Arbeitersport, Turnbewegungen etc.) so sind philosophische Elemente im Karatesport nach wie vor von großer Bedeutung. Der sportliche Wettkampf, obgleich spektakulär und publikumswirksam, stellt nur eine kleine Facette des Karate dar, denn nicht der Wettkampf, sondern das Training, die Auseinandersetzung mit den komplizierten und komplexen Bewegungsabläufen, das Ziel, nicht nur den Körper, sondern auch sich selbst zu beherrschen stehen im Vordergrund.
Dem Grundsatz folgend "wer andere besiegt ist kräftig - wer sich selbst besiegt ist stark" wird der Karateka auf seinem Weg oder "Do" wie wir sagen nicht nur lernen, die Techniken zu beherrschen, sondern auch andere Werte zu verinnerlichen, wie Höflichkeit, Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft, Toleranz, Gelassenheit, Mut und Respektierung des Anderen d.h. nicht das Besiegen des Anderen steht im Vordergrund, sondern das Arbeiten an sich selbst ist als das eigentliche Ziel dieser Kampfkunst anzusehen. Ein weiterer zentraler Begriff im Karate heißt "Hara" und meint sowohl die körperliche wie auch die geistige Mitte bzw. das Gleichgewicht des Karateka. "Wer seine Mitte verliert, ist bereits besiegt!" sagt man in Japan. Setzt man dafür die Begriffe "Beherrschung" und "Gleichgewicht" wird unmittelbar klar, was die Kontrolle von "Hara" für einen Kämpfer bedeutet.
Wer sein Gleichgewicht und seine Beherrschung verliert, ist verloren und besiegt. Das Wort "Karate-Do" der Weg der leeren Hand birgt einen Begriff, der im doppelten Sinne gemeint ist, nämlich den der "Leere". Zum einem geht es darum, die Gliedmaßen des Körpers zu schlagkräftigen Waffen auszubilden zum Zwecke des waffenlosen Kämpfens und der Selbstverteidigung, zum anderen aber auch, im Sinne des Zen-Buddhismus eine innere Leere zu suchen, die im westlichen Sinne etwa mit Offenheit gleichgesetzt werden könnte. D. h. man sollte nicht an einem Gedanken haften, denn dadurch bleiben andere Gedanken verschlossen. Hält man aber sein Inneres leer, d.h. offen, so kann man alles aufnehmen, was an einem herantritt. Aus dieser Leere entspringt die unterbewußte Entfaltung des Tuns, so das der Karatekämpfer verzögerungslos reagieren und eine der Situation entsprechende Handlung aus dem Unterbewußtsein heraus erfolgen kann. Es kommt darauf an eine Einheit aus Körper und Geist zu bilden.
Gichin Funakoshi erklärt dazu: "So wie die blanke Oberfläche eines Spiegels alles wiedergibt, was vor ihm steht und wie ein stilles Tal selbst den schwächsten Laut weiterträgt, soll der Karateka sein Inneres leermachen von Selbstsucht und Boshaftigkeit, und in allem, was ihm begegnen könnte, angemessen zu handeln". Dies ist mit "Kara" oder "Leer" im Karate gemeint. Im Training, das mit großer äußerer Disziplin in aller Regel von einem erfahrenen Karatemeister (Sensei) durchgeführt wird, gelangt der Karateschüler zu innerer Disziplin im Sinne des Karate-Do und von Zeit zu Zeit bekommt der Schüler die Möglichkeit, mit Hilfe von Gürtelprüfungen sein Können und seine Reife überprüfen zu lassen, unabhäning von Wettkämpfen o.ä. Nach diesen Ausführungen wird auch klar, warum die in letzter Zeit immer häufiger aufgeworfene Frage nach der Ausländerintegration im Sport für das Karate keine Bedeutung hat. Denn unabhängig von Herkunft, Rasse und Religion gilt: Wer sich dem Karate-Do verschrieben hat, gehört dazu.